Deutschland hat am Wochenende wieder Grenzkontrollen eingeführt. Angeblich will die Bundesregierung damit den Druck auf die EU-Partner erhöhen, die sich einer festen Quotenregelung bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern. In Wirklichkeit aber zeigt die Anordnung durch Innenminister Thomas de Maizière die politische Überforderung und Planlosigkeit der Bundesregierung, die am 3. Oktober auch noch den Tag der Deutschen Einheit unter dem Motto „Grenzen überwinden“ feiert.
Damals war Wahlkampf
Lange Zeit dachte man, auf die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien nicht weiter Rücksicht nehmen zu müssen und schaute dabei zu, wie Millionen von Menschen in den Libanon, die Türkei, nach Jordanien und in den Irak flüchteten. Und während dort riesige Zeltstädte entstanden, stritt der Westen im September 2013 auf dem G20-Gipfel in St. Petersburg um die Frage, Angriff oder Nicht-Angriff. Der amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama versuchte eine Allianz der Willigen zu schmieden, um auf den Einsatz von Giftgas, für den er den syrischen Machthaber Assad verantwortlich machte, militärisch zu antworten.
Die Bundesregierung zögerte. Merkel befand sich im Wahlkampf und wollte keinesfalls wie eine Kriegskanzlerin vor der deutschen Öffentlichkeit erscheinen, lehnte also erst eine Unterschrift unter das Dokument ab und gab sie einen Tag später dann doch. Taktische Spielchen, die zu einem peinlichen Ergebnis führten, bestimmten das Bild vor zwei Jahren. Das Schicksal von Flüchtlingen spielte dabei nur eine Nebenrolle. Sie waren noch weit weg in den Auffanglagern der Nachbarländer. Der Westen glaubte, mit ein paar Hilfsgeldern die Menschen in der Region und fern der europäischen Grenzen halten zu können.
Regeln von der Realität außer Kraft gesetzt
Man schaute auch dabei zu, wie Tausende von Menschen aus Afrika die Flucht über das Mittelmeer wagten und dabei ums Leben kamen. Schafften dennoch einige überfüllte Boote die Überfahrt, betrachtete die Bundesregierung die Gestrandeten als Angelegenheit jener Länder, in denen die Flüchtlinge europäischen Boden betraten. Die Dublin Regelungen verhinderten oder besser gesagt schützten die Bundesregierung vor einer ernsthaften Diskussion. Schließlich sind Regeln dazu da, befolgt zu werden.
Nun werden diese Regeln von der Realität außer Kraft gesetzt und die Bundesregierung antwortet mit einem beispiellosen wie planlosen Hin und Her, nachdem sie auch von der eigenen Bevölkerung dazu gedrängt worden war. Angela Merkel, die lange Zeit keine Meinung zu dem Thema hatte, sich wie üblich verschanzte und lediglich ihren Standardsatz verkündete, Verfolgte ja, Wirtschaftsflüchtlinge nein, musste aus der sicheren Deckung kommen. Erst ließ sie die Grenzen unter Umgehung des Dublin III-Systems öffnen, nun macht sie sie unter Umgehung des Schengen-Abkommens wieder dicht.
Weiteres Chaos wird organisiert
Vorübergehend, wie es heißt und nicht wirklich dicht, wie Bundesmerkelesprecher Seibert heute über Twitter erklärt. Doch mehr als ein weiteres Chaos organisiert die Bundesregierung damit nicht. Denn die Flüchtlinge werden sich wohl kaum davon abhalten lassen, weiter nach Deutschland zu kommen, egal ob Züge fahren oder nicht und egal, ob hunderte Bundespolizisten oder das Militär in Österreich die Grenzen kontrollieren oder nicht. Die Ablehnungsfront der osteuropäischen Staaten wird die Kanzlerin damit auch nicht brechen können, das Leid der Flüchtlinge aber mit Sicherheit erhöhen.
Das heutige Treffen der EU Innenminister lässt sich vom „Wir schaffen das schon“-Gerede der Kanzlerin kaum beeindrucken. Hier zählen Fakten und eigene Interessen. Deutschland hat das ja selbst immer wieder vorgelebt. Warum sollten Polen und Tschechen auch laut „hier“ schreien, wenn die Flüchtlinge doch nach Deutschland oder Skandinavien wollen? Warum sollten sie einer festen Quotenregelung zustimmen, obwohl bereits jetzt absehbar ist, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen werden? Und warum sollten die EU Partner einem Deutschland helfen, das die Regeln kompromisslos predigt, sich aber selbst nur bei Bedarf daran hält?
Die europäische Idee ist tot
Die beschlossenen Grenzkontrollen senden ein verheerendes Signal. Ein Dominoeffekt baut sich auf. Nach und nach setzen auch die anderen europäischen Staaten das Schengen-Abkommen, einen Kern der friedlichen und offenen Nachkriegsordnung in Europa, außer Kraft. Das ist das Verdienst der Bundesregierung, die nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll und in ihrer Planlosigkeit nun wieder zurück auf Anfang will. Nur geht das jetzt nicht mehr. Die europäische Idee ist tot und die Kontrolle längst verloren.
Deutschland muss akzeptieren, dass es jetzt die Quittung für eine verfehlte Außen- und Europapolitik serviert bekommt. Die innere Abschottung durch Dublin III verkehrt sich nun ins Gegenteil und offenbart die Risse quer durch die EU. Darüber hinaus spielt der hilflose Versuch die Grenzen zu schließen den rechten Rattenfängern in die Karten. Während die bayerische CSU ein unbeschwertes Oktoberfest feiern will, freut sich die AfD über die unverhoffte Wahlkampfhilfe. Sie sieht in den aktuellen Ereignissen eine Bestätigung ihrer radikalen Ausgrenzungspolitik.
Es herrscht Dunkelheit im Kopf
Und so hat sich unmittelbar vor dem 25. Tag der Deutschen Einheit eine bizarre Wirklichkeit entwickelt. An den europäischen Außengrenzen wachsen Zäune mit NATO-Stacheldraht in die Höhe, die Bundeswehr jagt Schleuser auf dem Mittelmeer und an den Binnengrenzen ist warten am Schlagbaum wieder angesagt. Dennoch trifft sich am 3. Oktober die politische Elite in Frankfurt a.M. zum Bürgerfest. Mit dabei der Bundespräsident, der kürzlich die deutsche Hilfsbereitschaft lobte und zu einer „ernsthaften Hochstimmung“ stilisierte, vergleichbar mit dem Sommermärchen von 2006.
„Grenzen überwinden“, lautet das Motto dann. Es müsste aber heißen: Grenzenlose Dunkelheit im Kopf.
SEP.
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.