Nun sind die Jamaika-Verhandlungen auch offiziell gescheitert. Sie waren es schon nach der Bundestagswahl, als Liberale und Grüne zunächst entsetzt auf den blitzschnellen Rückzug der SPD reagierten, so als ob doch lieber sie als erste den Gang in die Opposition erklärt hätten. Dann ließ sich die Kanzlerin wieder sehr viel Zeit und wartete die Wahlen in Niedersachsen ab, bevor sie überhaupt an erste Sondierungsgespräche dachte. Also: Wer acht Wochen nicht oder immer nur dieselben absurden Dinge bespricht, will doch gar nicht regieren.
Hat die FDP nun vorsätzlich die Sondierungen platzen lassen? Natürlich. Standen die Verhandler kurz vor einer Einigung? Natürlich nicht. Das war schon eine groteske Nummer in der Nacht. Ausgerechnet der Ausstieg der Liberalen schweißt nun den zerstrittenen schwarz-grünen Resthaufen scheinbar zusammen. Vorerst vermutlich. Beide Seiten betonten, wie sehr doch eine Einigung in der Luft gelegen hätte. Das widerspricht aber fundamental dem Eindruck der letzten Tage und Wochen, als eine Deadline nach der anderen verstrich und die Nerven insbesondere bei den Grünen häufig blank lagen, ob der Angriffe aus den Reihen der CSU.
Die deutlich geschrumpfte bayerische Regionalpartei hätte vermutlich einen freiwilligen Rückzug der Grünen lieber gesehen, nachdem es zwischenzeitlich hieß, Union und FDP seien sich weitgehend einig. Doch die Grünen kehrten immer wieder an den Verhandlungstisch zurück, zuletzt sogar mit „atmenden Rahmen“ bei der Obergrenze und der Formel „Patriotismus für das Land“. Bei soviel unerwarteter inhaltlicher Selbstaufgabe und grüner Liebe zu Angela Merkel, sah die im Kern regierungsunwillige FDP offenbar gar keinen anderen Ausweg mehr, als selbst zu gehen. Die schlechteste Entscheidung war das aber nicht.
Rettungsmission für Merkel läuft an
Denn mit dem Scheitern der Gespräche wäre die Chance jetzt wieder da, die Wahlverlierer Merkel und Seehofer endlich ihrer Ämter zu entheben. Theoretisch. Praktisch sieht es natürlich wieder nach einer großen Rettungsmission für die angeschlagene Gottkanzlerin aus. Mit Hilfe der Medien wird dem Bundespräsidenten schon empfohlen, Merkel als Kandidatin für eine Kanzlerwahl vorzuschlagen. Warum? Er könnte auch jemand anderes vorschlagen, der vermutlich mehr Chancen hätte, relativ gesehen mehr Ja- als Nein-Stimmen zu bekommen (vgl. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages WD 3 – 3000 – 188/13), doch diskutiert wird das gar nicht.
Appelliert wird auch wieder an die SPD, die ja nun zur Rettung Merkels bereitstehen müsse. Dass die Sozialdemokraten umfallen könnten, scheint gar nicht so abwegig, da die neue Situation für den ein oder anderen Wahlverlierer eine noch bessere Überlebenschance bietet, als in der Opposition, in der die Posten naturgemäß knapp sind. Außerdem macht die Blockadehaltung der SPD im Bund mit Blick auf die gerade erst neu gegründete GroKo in Niedersachsen kaum noch einen Sinn. Neuwahlen dürften hingegen in einer noch größeren Katastrophe für die SPD enden und daher nicht in deren Interesse liegen. Nur Martin Schulz hat das offenbar noch nicht kapiert.
Was für die Union gilt, gilt aber auch für die SPD. Beide Wahlverlierer agieren mit demselben Spitzenpersonal einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Abgesehen von dem schwindenden Rückhalt in den eigenen Reihen bleibt dann aber die Frage, wie denn eine Kurskorrektur oder ein Politikwechsel gelingen kann, wenn die gleichen Leute einfach weitermachen wie bisher. Als die SPD-Führungsclique am 24. September das Märchen verbreitete, Merkel sei schuld an der Misere, weil sie sich der Auseinandersetzung im Wahlkampf verweigerte, dann diente das noch dem Selbstschutz. Konsequent zu Ende gedacht, müsste die SPD jetzt also die Rettungsmission stoppen und den Rücktritt Merkels fordern, als Bedingung für Koalitionsgespräche.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.