Der Rotstift bleibt

Geschrieben von: am 26. Okt 2017 um 6:45

Quelle: Christian Lindner via Twitter

Seltsame Schlagzeilen am Morgen: Die Jamaika-Runde habe sich auf einen ausgeglichenen Haushalt und die Einhaltung der Schuldenbremse geeinigt, wird gemeldet. Die künftigen Koalitionäre haben also eine Nacht damit verbracht, sich auf etwas zu verständigen, dass das Grundgesetz ohnehin vorschreibt. Wer hätte das gedacht? Entscheidend ist doch aber, was weiter unten steht. Demnach wollen die künftigen Partner keine neuen Substanzsteuern einführen. Das heißt wiederum ganz klar: Der Rotstift bleibt im Einsatz und an der Spaltung zwischen Arm und Reich wird sich auch unter dieser Regierung nichts ändern.

Wer Schuldenbremse und Schwarze Null zum Maßstab allen politischen Handelns erhebt, kommt um die Beantwortung der Frage nicht herum, wie er die Einnahmen des Staates erhöhen möchte, um die anstehenden Aufgaben zu finanzieren. Da es keine höheren Steuern für Reiche geben soll, dafür aber eine Reihe weiterer Steuersenkungen, von denen ebenfalls die Reichen mehr profitieren, als der Durchschnitt oder der ärmere Teil der Bevölkerung, ist doch logisch, dass weiter gekürzt werden muss. Woher sollen denn sonst die Mehraufwendungen für Bereiche wie Infrastruktur, Pflege oder Bildung kommen, die unter einem jahrelangen Sparkurs arg gelitten haben und einen nunmehr gestiegenen Investitionsbedarf aufweisen?

Die Vermögensteuer, die bei den Grünen ja immerhin noch im Wahlprogramm gestanden hat, war allerdings ganz schnell vom Tisch. Sie sei halt mit Union und FDP nicht zu machen, heißt es lapidar. Gleiches dürfte dann wohl auch für eine „Reform der Erbschaftsteuer“ gelten. Dafür soll es aber steuerliche Entlastungen für Familien auf breiter Linie geben. Das hilft zwar den Millionen Menschen wenig, die arm sind und kaum oder gar keine Steuern zahlen, aber es klingt doch schon mal wunderbar sozial. Wie Steuersenkungen, die Schuldenbremse, die Schwarze Null und die notwendigen Investitionen zusammenpassen sollen, fragt schon keiner mehr, da alle offenbar nur noch die AfD im Kopf haben.

Das ist ja auch so wunderbar bequem, weil es die Beteiligten von einer notwendigen Diskussion über die zunehmende Ungleichheit befreit. So befindet sich die Zahl der Milliardäre in Deutschland zwar auf einem neuen Höchststand und spiegelbildlich gesehen, die Armutsrisikoquote ebenfalls, von einem alarmierenden Interesse ist das aber nicht. Eine Spaltung der Gesellschaft wird eben nicht zwischen Arm und Reich gesehen, sondern vornehmlich zwischen AfD-Wähler und Nicht-AfD-Wähler. Daher werden auch lieber Positionen zum Islam ausgetauscht oder lang und breit über Obergrenzen diskutiert, als darüber gesprochen, dass AfD, Union, FDP und mehrheitlich auch Grüne und SPD die gleichen marktliberalen Grundsätze teilen.

Erhöhung der Dosis, was sonst

Die Antwort auf die Frage, wie das Regierungsprogramm künftig aussehen könnte, wird vermutlich nach dem altbekannten Muster ausfallen. Die Dosis des neoliberalen Gifts, das die zunehmende Ungleichheit verursacht und die soziale Schieflage weiter verschärft hat, wird einfach erhöht und mit dem Sachzwang begründet. Also mehr Privatisierungen zum Beispiel oder mehr öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP). Glücklicherweise – aus Sicht der Jamaika-Parteien – hat da die Große Koalition in der letzten Legislaturperiode mit weitreichenden Grundgesetzänderungen bestens vorgearbeitet. Alles andere wird selbstverständlich als Griff in die Kasse bezeichnet.

Die Möglichkeit der Ausweitung von ÖPP wird die neue Koalition, angetrieben vom Druckmittel Schuldenbremse und der albernen Verehrung der Schwarzen Null, auch nutzen. Garniert wird das weiterhin mit dem Gerede, dass es dem Land doch so gut gehe, wie nie zuvor. Der Satz kommt spätestens nach der nächsten Steuerschätzung Anfang November. Vielleicht wird er noch um die Bemerkung ergänzt, der Staat schwimme doch im Geld. Was nichts anderes heißt, als dass es doch gar kein Einnahmeproblem geben könne. Wenn das Geld an irgendeiner Stelle fehle, wird es halt woanders unnötigerweise ausgegeben. Sie wissen schon wo.

Dabei ist „eine Neuausrichtung der Steuer- und Finanzpolitik zur solidarischen Finanzierung des Gemeinwesens und der Einhaltung sozialstaatlicher Verpflichtungen unumgänglich“, heißt es in einem offenen Brief des Bündnisses „Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!“ an die Parteivorsitzenden. Die Rechte der Beschäftigten müssten gestärkt, bezahlbare Wohnungen geschaffen, eine nachhaltige und preiswerte Energieversorgung gesichert sowie die soziale Absicherungen aller Menschen in Deutschland gewährleistet werden. Mit dem Festhalten an der Schwarzen Null ist das aber nicht zu machen. Wer so beginnt, wie Jamaika, will nichts ändern, sondern nur so weitermachen wie bisher.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  Oktober 26, 2017

    Schäubles Schwarze Null als Rechtfertigung für den “ sozialen Rotstift „, als Alibi für die wachsende Zahl an ÖPPs ?
    Die Schwarze Null ist inzwischen wohl so Systemrelevant geworden, das sie auch für die kommende Jamaikakoalition, gefühlt alternativlos, im „kritiklosen“ Regierungsprogramm durchgesetzt wird. Es soll so bleiben wie es ist, denn Frau Merkel, hat nach ihren eigenem Bekunden, “ alles richtig gemacht….“.
    Was für eine Blendgranate.
    Könnte man weiterdenken, das diese AFD, zu diesem Zeitpunkt, für eigens herbeigeführte Missstände, als Sündenbock, gut ins kommende Regierungsprogramm passt . In der letzten Legislaturperiode war Die Linke Prügelknabe. Am System der Ablenkung, hat sich das “ Feindbild “ geändert, ansonsten wenig. Im Schatten der AFD läßt vortrefflich regieren, die Neoliberalpolitik weiterführen.
    Das Schauspiel kann weiter fortgeführt werden.
    Brot und Spiele….

  2. Hartmut Schwarz  Oktober 26, 2017

    …und welchen finanziellen Schaden Schäubles Schwarze Null noch so alles anrichten kann, ließt sich auf den Nachdenkseiten unter der Rubrik “ Hinweise des Tages “ differenzierter.
    Bedenken sollte man immer, das ein finanzieller Schaden auf unserem Konto, gleichzeitig eine Einnahme auf der anderen Kontoseite generiert.
    Ist die Erfindung der Schwarze Null eine Umverteilungsmaschine von unten nach oben ?
    Wer die Bedingungsanleitung beherrscht, läßt sich bedienen…