Am kommenden Mittwoch sollen in Berlin die Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis beginnen. Hatten zuerst CDU und CSU die Aufnahme von Gesprächen mit Rücksicht auf die Wahl in Niedersachsen hinausgezögert, sind es nun die beiden anderen potenziellen Partner, die sich zieren, nachdem sie vorher mehr Tempo eingefordert hatten. Das Wahlergebnis in Niedersachsen wird diesen Bremsprozess noch weiter verstärken.
Dass noch nicht einmal sondierte Jamaika-Bündnis im Bund hat in Niedersachsen bereits den ersten Dämpfer erlitten, war eine der Feststellungen am gestrigen Abend. CDU, FDP und Grüne haben an Zustimmung verloren, während die SPD nach übereinstimmenden Äußerungen einen „fulminanten Erfolg“ verbuchen konnte. Für die Sozialdemokraten mag das stimmen, für die bisherige Regierung aber nicht. Sie bleibt auch nach der vorgezogenen Landtagswahl ohne Mehrheit.
Gewonnen ist damit im Grunde nichts, sofern keiner übertritt. Alle Beteiligten werden sich jetzt vor allem viel Zeit nehmen, um die unklaren bis ungewöhnlichen Mehrheitsverhältnisse zu diskutieren und irgendwie in eine funktionierende Regierung umzuwandeln, in Berlin wie in Hannover. Dabei wird vermutlich ebenso viel Zeit bei dem Versuch vergeudet werden, gesichtswahrende Formulierungen zu finden. Jeder müsse sich ja wiederfinden, heißt es immer wieder. Es drohen daher Scheinkompromisse, wie der zwischen CDU und CSU in Sachen Obergrenze. Eine Farce.
Auffällig ist, dass sich in Niedersachsen die beiden großen Parteien für eine Zuspitzung des Wahlkampfes loben. Das habe schließlich den Einzug der Linken in den Landtag verhindert und zu einem vergleichsweise schlechten Abschneiden der AfD geführt. Deren Ergebnis von über 6 Prozent ist aber die Ursache dafür, dass die rot-grüne Regierung nun nicht mehr weitermachen kann, nützt also den vermeintlich Geschlagenen. Seltsamerweise wird es aber als Erfolg empfunden, die AfD „kleingehalten“ zu haben.
Ernüchterung folgt
Nach dem Siegestaumel der SPD wird daher bald die Ernüchterung einkehren und vielleicht auch die Einsicht, sich wiederholt einer Machtoptionen beraubt zu haben. Denn mit der Formulierung, die Linke möglichst aus dem Parlament heraus halten zu wollen, war Ministerpräsident Stephan Weil eben auch nicht besser, als sein Gegenüber von der CDU, dessen hilflose Rote-Socken-Kampagne die Sozialdemokraten lautstark beklagten. Sie ging aber wieder auf. Den Rest besorgten Kipping und Riexinger mit ihren unnötigen Angriffen auf Wagenknecht selbst.
Wenn man sich nun das vorläufige amtliche Endergebnis anschaut, hat die SPD eben mit der Großen Koalition nur eine ziemlich ungeliebte Option und damit weniger als alle anderen Parteien. Eine rot-grüne Minderheitsregierung wird keine der anderen Fraktionen im Landtag tolerieren. Die Linke hätte das wohl getan oder wäre sogar in eine Koalition eingetreten. Die klassische Ampel wurde wiederholt von der FDP ausgeschlossen. Umgekehrt könnte die AfD theoretisch eine schwarz-gelbe Minderheit tolerieren.
Schwarz-Gelb-Grün hätte eine Mehrheit, was offiziell aber noch eine Menge Überzeugungsarbeit erfordert. CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann wie auch FDP-Landeschef Stefan Birkner schließen solch ein Bündnis nach wie vor nicht aus und allein diese Tatsache sollte doch Anlass zur Sorge geben. Die Grüne Spitzenkandidatin Anja Piel sagte, dass sie an Rot-Grün festhalte, solange das noch möglich sei. Es geht aber nun nicht mehr. Was jetzt?
Die SPD könnte also vom Wahlgewinner noch zum Verlierer werden und das nur, weil sie auf die Option mit der Linken immer wieder hartnäckig oder halbherzig wie in Niedersachsen verzichtet. Die CDU wird in Verhandlungen um eine Große Koalition daher entsprechend selbstbewusst und fordernd auftreten. Die FDP wird weiter standhaft bleiben und das Werben der SPD ablehnen, vermutlich auch mit Verweis auf Berlin, wo sich die SPD sehr schnell für die Oppositionsrolle entschieden hatte und damit FDP wie Grüne düpierte.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.