Sigmar Gabriel ist mal wieder der Kragen geplatzt. In einem Namensbeitrag unter dem Titel Der Gipfel der Verlogenheit jammert der Ex-SPD-Chef nun über das Verhalten der Union. Deren Anhänger schieben der SPD auf verschiedenen Wegen eine Mitschuld an den Krawallen in Hamburg zu.
Der ganze Vorgang erinnert an den Wahlkampf 2013, als Merkel in einem Interview der SPD totale Unzuverlässigkeit bei der Bewältigung der Eurokrise attestierte. Schon damals spielten sich die führenden SPD-Köpfe künstlich auf und sprachen von Brücken, die durch die Äußerung Merkels eingerissen würden.
Bekanntlich folgte aber die Große Koalition, in der die SPD noch über jeden wackeligen Steg torkelte, den die Union ihr über das längst ausgetrocknete Flussbett zimmerte.
Auf Gabriels Wutrede müsste man mit Gabriel selber antworten, der mal zu Susi Neumann sagte: „Mit den Schwatten war leider nicht mehr drin“. Genau. Mit den Schwatten ist auch im Wahlkampf nicht mehr drin. Seit Jahren machen die dasselbe und die SPD fällt entweder immer wieder darauf herein oder macht wissentlich mit, in der Hoffnung, erneut als Juniorpartner von Merkel ausgewählt zu werden.
„Ich jedenfalls will nicht zurück in eine Zeit, in der SPD und CDU/CSU wieder zu unversöhnlichen Gegnern werden, sondern finde es gut, dass wir heute nur Wettbewerber sind.“
Dieser Satz von Gabriel zu Beginn seines Beitrages reicht, um das Lesen einzustellen. Denn hier wird klar, wir wollen das Weiter so an der Seite der Union und vor allem wollen wir für unsere Verlässlichkeit geliebt und geachtet werden. Anerkennung für die SPD vom Establishment, das forderte auch Frank-Walter Steinmeier ein, als er noch nicht Bundespräsident, sondern Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag war. Auf dem Arbeitgebertag 2013, die NachDenkSeiten berichteten darüber, lobte er sich und die SPD für die Agenda 2010, die man ja vor allem für das Publikum gemacht habe, vor dem Steinmeier stand und Anerkennung einforderte. Vermutlich lachte das versammelte Establishment damals genauso wie heute über die SPD.
Wer hat denn den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt gezwungen, seine Zustimmung zu einem G20-Gipfel direkt neben dem Schanzenviertel zu geben? Kennt der Mann seine Stadt nicht? Er hätte ja statt von einem Festival der Demokratie zu phantasieren, lieber seine Bedenken äußern oder einfach „Nö“ sagen können. Er hätte den vielen Polizisten eine dreitägige Einsatztortur am Stück ersparen und vielleicht erkennen können, dass deren fragwürdige Polizeiführung ihr eigenes Süppchen auf dem Rücken der Kollegen kocht. Nein. Scholz tat seine Pflicht, wie Gabriel meint. Diese Pflicht besteht offensichtlich darin, der Union zu folgen, wo auch immer sie gern hingegen möchte.
Gabriel irrt aber, wenn er behauptet, Merkels Absicht sei es gewesen, tolle Gipfelbilder im Wahlkampf zu produzieren. Tolle Bilder kann man in Bayern auf einem Schloss produzieren, doch aber nicht in einer Großstadt wie Hamburg. Merkel hat das sicher gewusst.
Wer sich die Entwicklung der Debatte anschaut, wird feststellen, dass die Krawalle des Wochenendes den Konservativen sehr gelegen kommen, um daraus Kapital zu schlagen. Die CSU verabschiedet mal schnell und ganz spontan ein sicherheitspolitisches Beschluss-Papier, in dem sich die Regionalpartei für die Schließung autonomer Zentren und eine europäische Extremistendatei ausspricht. Damit ist die Klausurtagung in Banz gerettet, die inhaltlich sonst nicht viel zu bieten hatte als ein Lob fürs Weiter so. Auch der Rest der Republik diskutiert nur noch über die innere Sicherheit und darüber, wie viel Gewaltpotenzial in der Linken steckt.
Wer wohl die Mehrheit für kommende Gesetzesvorlagen zu diesem Thema sicherstellen und hinterher sagen wird, mit den Schwatten war leider nicht mehr drin?
JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.