Showdown am Wochenende: Fliegt die Große Koalition auseinander, lautete eine Frage? Horst Seehofer hatte mit scheinbar unüberbrückbaren Positionen und einem Ultimatum für Furore gesorgt. Der Geist von Kreuth 1976 scheint wieder da zu sein. Aber wie das eben so ist mit Gespenstern. Sie taugen nur für eine Gruselstunde.
Sprachvisagisten am Werk
Die Große Koalition fliegt nicht auseinander, denn es ist alles wie gehabt. Die Kosmetikabteilungen der Regierungsparteien arbeiten auf Hochtouren. Der Auftrag lautet, das hässliche Gesicht in einer politischen Sackgasse zu wahren. Da ist zum Beispiel das unschön klingende Wort „Transitzone“, mit dem man ein großes Lager assoziiert, in dem Menschen festgehalten werden, bis geklärt ist, ob sie weiterreisen dürfen oder gleich wieder abgeschoben werden.
Das geht so natürlich nicht, heißt es von Seiten der Scheinhumanisten aus CDU und SPD. Die Chefkosmetikerin der Spezialdemokraten Fahimi, die künftig die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung verschönern hilft, sprach gar von Haftzonen, die die bayerische Landesgruppe da einführen wolle. Sozialdemokraten könnten da keinesfalls mitmachen. Aus dem Schminkköfferchen zauberten die Sprachvisagisten daher das Wort Einreisezentrum. Eigentlich Einreisezentren, um die Dezentralität zu betonen.
Das suggeriert Willkommenskultur und sogar eine Bleibeperspektive, obwohl sich die SPD, was das angeht, mit der CSU ja einig ist. Bleiben sollen eigentlich die wenigsten. Wie in den Tansitzonen/Haftzonen soll auch in den Einreisezentren eine schnelle Registrierung stattfinden, Asylanträge geprüft und bei Feststellung der sicheren Herkunft, munter abgeschoben werden, auch in Länder, die gar nicht sicher sind. Wer sich dem Prozedere freiwillig entzieht, soll mit Leistungsentzug bestraft werden. Auch das ist kaum ein Unterschied zum offensichtlichen Festhaltezwang der CSU.
Europäische Kultur an Land gespült
Die bayerische Regionalpartei beklagt seit Wochen eine Überlastung ihrer Kommunen. Dramatische Bilder wie zuletzt bei Passau an der Grenze zu Österreich sollen den Eindruck von der Überforderung belegen. Das stimmt auch, nur scheint die Lage nicht ganz so dramatisch zu sein, wie Seehofer und sein Herrmann sie zeichnet. Regionale Zeitungen und gestern das ZDF heute journal berichteten von sich wundernden Helfern in München und freien Kapazitäten in Erding. Doch seit dem Oktoberfest komme kaum noch ein Flüchtling dort an.
Ist das Drama vielleicht Absicht? Werden bewusst Bilder produziert, um im Berliner Machtkampf zu bestehen? Bayerns Innenminister wiegelt ab. Man eskaliere nicht, vielmehr sei der Ösi an allem schuld. Der lade nämlich die Flüchtlinge einfach in der Nähe von Passau ab, statt wie Busenfreund Orban einen Zaun an seinen Grenzen zu errichten. Es scheint offenbar unmöglich, eine Verständigung zwischen zwei Ländern zu erzielen, die verhindern könnte, das Kinder unter freiem Himmel in Pappkartons übernachten müssen.
So ist das aber heute in Europa. „Die Wellen spülen nicht nur (tote) Migranten, sondern auch die europäische Kultur an Land.“ Diesen Satz hat Alexis Tsipras gesagt, nachdem in dieser Woche erneut Boote in der Ägäis gekentert waren und Flüchtlinge, darunter auch wieder Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren, ertranken. In Europa schiebt ein Land die Verantwortung an das nächste weiter. Und in der deutschen Regierung sind sich im Kern alle wie immer einig, nur die Farbe für den Anstrich ist noch nicht ausgewählt.
In Wahrheit spielen nicht die Flüchtlinge oder die Überlastung von Hilfskräften oder Kommunen die entscheidende Rolle, sondern die Umfragewerte. So bedient die CSU den rechten Rand, die Kanzlerin lässt sich Menschlichkeit nachsagen und die SPD hat wie immer das Spiel nicht verstanden und macht sich mit ihrer Idee von Einreisezentren zum verlängerten Armleuchter der Großen Koalition. Einfach nur gruselig.
Wenn die „grosse Koalition für grosse Aufgaben“ so weitermacht, kann sie Sonntag statt Krisentreffen frei machen. pic.twitter.com/buTOLspCrh
— ThomasWalde (@ThomasWalde) 30. Oktober 2015
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.