Varoufakis und Piketty äußern sich

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Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat sich auf seinem Blog zu den jüngsten Vorwürfen geäußert, er würde mit Hilfe von Mitschnitten die Vertraulichkeit der Eurogruppen Treffen verletzen wollen. Varoufakis macht dabei auf einen Vorgang aufmerksam, der hierzulande offenbar niemanden aufzufallen scheint.

All of a sudden, the journalists and news media that propagated the lies and the innuendos about the 24th April Eurogroup meeting changed tack. Without a whiff of an apology for the torrent of untruths they had peddled against me for weeks, they now began to depict me as a ‘spoof’ who had “betrayed” the confidentiality of the Eurogroup.

Erst verbreiten die Medien Unwahrheiten über die Treffen der Eurogruppe, die sie wo auch immer erfahren haben wollen, um nun im Nachgang den griechischen Finanzminister an den Pranger zu stellen, weil er Aufnahmen von den Besprechungen hat, die unter Umständen belegen können, was tatsächlich gesagt worden ist.

To my detractors I have this to say: You have not had any leaks from me during or after any of my meetings. Indeed, no one has respected the confidentiality of those meetings more than I – even during the days and weeks I was being provoked by the news media’s false, personal attacks regarding those meetings.

To fellow Europeans I add this: Perhaps it is time we became a little more sceptical about the journalism we rely upon as citizens. And perhaps we should query European institutions in which decisions of monumental importance are made, on behalf of Europe’s citizenry, but in which minutes are neither taken nor published.

Secrecy and a gullible press do not augur well for Europe’s democracy.

Varoufakis rät den Bürgern skeptisch gegenüber einer Presse zu sein, die weniger an der Wahrheit als an Kampagnen interessiert zu sein scheint.

Unter den Tisch gefallen

Neben dem offensichtlichen Drang der Medien, sich an der Hetze gegen den griechischen Finanzminister zu beteiligen, fallen auf der anderen Seite wichtige Informationen einfach unter den Tisch. Darauf weist Norbert Häring auf seinem Blog hin. So wird dort über eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 20. Mai berichtet, auf der der französische Wirtschafts-Professor Thomas Piketty den Preis “Das politische Buch” 2015 erhielt.

Die auf solchen Veranstaltungen übliche Rede des Preisträgers drehte sich um die öffentlichen Schulden im Allgemeinen und die von Griechenland im Besonderen. Diese Rede sorgte für Aufmerksamkeit bei Journalisten in Griechenland, aber auch in Frankreich und Belgien. In Deutschland interessierte das kaum jemanden, was wohl an der Überzeugung des Preisträgers und renommierten Wirtschaftsprofessors lag.

Der sprach sich nämlich für einen griechischen Schuldenschnitt aus und schlug vor, sich dabei unter anderem von dem Schuldenerlass für Deutschland 1953 inspirieren zu lassen. „Warum sollten wir heute nicht das Gleiche für Griechenland tun“, fragt der französische Volkswirt.

Die jungen Griechen heute sind nicht mehr verantwortlich für die Fehler der Vergangenheit als die Deutschen im Jahr 1953? Warum sollten wir ihnen verweigern, was man zugunsten der Deutschen gewährt hat?

Eine berechtigte Frage, die allerdings in Deutschland auf taube Ohren stößt. Hier regiert das Vorurteil, das von Schäuble gepflegt bis weit in die Köpfe bornierter Sozialdemokraten wie Olaf Scholz hineinreicht. Die hören nicht gern, dass sie falsche Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen haben. Länder wie Griechenland seien selbst schuld an ihrer misslichen Lage. 

Piketty nennt das “Heuchelei” und verweist auf die ganz praktischen Probleme, die sich aus den Sprechblasen der deutschen Politik ergeben. “Man verlange von den Griechen die Reichen zu besteuern aber die hätten ihr Geld auf deutschen oder französischen Banken, die den griechischen Behörden Auskünfte über ihre Kunden verweigerten.” Allerdings wird in Deutschland dafür gesorgt, dass man so etwas nicht hören muss.

Darauf weist letztlich auch Yanis Varoufakis hin, der in dem Versagen einer leichtgläubigen Presse wie auch in der Geheimhaltung von Fakten eine Gefahr für die Demokratie in Europa sieht.


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Vernunft muss einkehren

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Vernunft muss einkehren: So verkündet es ein Bahnsprecher zurzeit. Er meint damit die streikenden Mitglieder der GDL, die Millionen Menschen am Reisen über Pfingsten hindern würden. Sie sollen aufhören, an den Verhandlungstisch zurückkehren und einen Schlichter akzeptieren. Das aber würde auch bedeuten, die GDL akzeptiert, dass das Bahnmanagement die geltende Rechtslage weiterhin missachtet. Kann das vernünftig sein?

In der Süddeutschen Zeitung schreiben Detlef Esslinger und Heribert Prantl heute folgendes:

Das Argument Weselskys, „Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten“, klingt gut, ist womöglich aber hohl; jede Schlichtung entscheidet auch über die Auslegung des Grundrechts. Der Arbeitsrechtler Michael Kittner, ehemals Justitiar der IG Metall, kritisiert daher ein „autistisches Grundrechtsverständnis“ der GDL. Sie missachte die Forderung des großen Senats des Bundesarbeitsgerichts von 1971, dass vor jedem Streik ein Schlichtungsverfahren stattfinden müsse. Fazit: Es könnte vor Gericht eng werden für die GDL.

Diese Bemerkung ist irreführend, weil sie über entscheidende Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2010 hinweg geht, auf die sich die GDL immer wieder und zurecht beruft. Das BAG schaffte in mehreren Entscheidungen die jahrzehntelang geltende Regel der Tarifeinheit ab. Seitdem gilt arbeitsrechtlich das Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ nicht mehr. Der Bahnvorstand missachtet diesen Richterspruch aber konsequent und weigert sich, mit der GDL über Tarifverträge für alle ihre Mitglieder zu verhandeln.

Es geht also nicht um die Frage von Macht oder ein wenig mehr Kompromissfähigkeit, sondern schlichtweg darum, ob ein Arbeitgeber damit durchkommt, geltendes Recht solange zu umgehen, bis der Gesetzgeber, der auch noch Eigentümer des betroffenen Unternehmens ist, die Rechtslage nachträglich und zugunsten der Arbeitgeberseite angepasst hat. Die Frage lautet also, ob wir den Rechtsstaat achten oder es vorziehen in einer Bananenrepublik zu leben, in der die tatsächlich Mächtigen unter dem Applaus der Medien offenbar Gesetze bestellen und bis zur Lieferung geltendes Recht biegen und brechen können.

An die Vorgeschichte denken

Zur Erinnerung: Der Streit um die Tarifpluralität, der 2010 durch das BAG entschieden wurde, hat eine Vorgeschichte. Und zwar gerade die Abschaffung der Tarifeinheit durch die Unternehmen selbst. Sie fanden es eine Zeit lang chic oder opportun, die Tarifeinheit aufzubrechen, um einen Keil zwischen die Arbeitnehmer zu treiben. Die Politik hat die Arbeitgeber dabei tatkräftig unterstützt durch Privatisierung öffentlichen Eigentums, die Zulassung von Öffnungsklauseln, die Lockerung der Leiharbeit und nicht zuletzt durch den Ausbau des Niedriglohnsektors. Kurzum: Alles was unter dem Label „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ lief, hat zur Entsolidarisierung der Arbeitnehmerschaft beigetragen. Ganz im Sinne der Arbeitgeber, die so leichtes Spiel bei der Umsetzung von innerbetrieblicher Kostenoptimierung hatten. Zunächst.

Denn die Folge sind nun Spartengewerkschaften, die nur noch ihre eigenen Interessen vertreten und zwar nach dem neoliberalen Grundsatz der freien Konkurrenz. Übrigens haben das auch die Arbeitgeber versucht für sich auszunutzen, indem sie selber Spartengewerkschaften gründeten und zum Nachteil der Beschäftigten Tarifverträge vereinbarten. Allerdings flog das perfide System auf. Der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) ist 2010 – ebenfalls vom BAG – die Tariffähigkeit abgesprochen worden. Konsequenz: Die betroffenen Arbeitnehmer konnten Nachzahlungen einklagen und die geprellten Sozialkassen Beiträge nachfordern.

Über diese skandalöse Entwicklung, die zur Vorgeschichte aktueller Tarifkonflikte hinzu gehört, wird aber kaum nachgedacht oder berichtet, dafür aber über einen mutmaßlich durchgeknallten Ossi, der etwas von Grundrechten erzählt und – ganz schlimm – auch noch auf deren Einhaltung pocht. Manchmal frage ich mich, ob das vereinigte Deutschland, für das so viele auf die Straße gegangen sind und das sich als Sieger über den gescheiterten Osten immer noch feiert, die gepredigte demokratische Grundordnung wirklich ernst nimmt oder nur dekorativ ins Schaufenster gestellt hat.

Vernunft würde herrschen, wenn sich das Bahnmanagement an die geltende Rechtslage hielte. Es liegt nicht im Ermessen der Bahn, der GDL das Recht einzuräumen, über Tarifverträge verhandeln zu dürfen. Die Bahn ist nicht das Gericht, das diese Frage schon entschieden hat. Ein Schlichter ist deshalb überflüssig. Gebraucht wird aber eine Bundesregierung, die das Ausmaß des Versagens ihrer Vorgänger erkennt und die notwendigen Schlüsse daraus zieht. Das wiederum setzt aber voraus, dass die Mehrheitsfraktionen im deutschen Bundestag den Mut finden, jene politischen Zöpfe abzuschneiden, die damals schon gestaltet haben und es jetzt wieder tun.


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Lahmgelegter Verstand

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Die GDL will sechs Tage lang streiken. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, um auf das abwartende Bahnmanagement den Druck weiter zu erhöhen. Doch obwohl Arbeitsgerichte das Vorgehen der Lokführer als verhältnismäßig und gerechtfertigt anerkannten, rollt eine weitere Empörungswelle durch das Land.

Nach der Streikankündigung der GDL rollt eine weitere Welle der Empörung durch das Land. Das Thema ist auf fast jeder Titelseite zu finden. Daneben wie üblich ein Kommentar mit klarer Aussage contra GDL. Denn die kleine Gewerkschaft, die alle anderen nur in Geiselhaft nehmen wolle, bleibe stur, während der, offenbar durch Vernunft geleitete Bahnvorstand, angeblich nur Kompromisse suche. Beides ist falsch.

Misserfolg wird belohnt

Bahn-Vorstände (be)schimpfen nicht, sondern wählen ihre Worte fein. Ihnen geht es ja auch gut. Zuletzt genehmigten sich die Spitzenmanager eine Gehaltserhöhung um 174 Prozent, schrieb das Handelsblatt kürzlich. Trotz verfehlter Umsatz- und Gewinnziele kassieren die Vorstände des Staatsunternehmens doppelte Erfolgsprämien und kurzfristige Boni. Finanziell gut abgefedert, macht der Tarifkonflikt mit der GDL offensichtlich Spaß.

Denn auch aus der Politik kommt Unterstützung für das (Miss)Management der Bahn. Nicht der Vorstand des Konzerns, sondern die GDL stelle eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort dar, heißt es aus der parlamentarischen Ecke. Und die Regierung spricht gar von Maßlosigkeit und einem nicht mehr zu vertretenden Schaden, angerichtet durch Streik. Der Schaden, den die Konzernführung seit Jahren anrichtet – Stichwort Börsengang, Stichwort Tarifsystem, Stichwort Verschleiß, Stichwort Unpünktlichkeit, Stichwort Rückzug aus der Fläche – bleibt nebensächlich.

Wer darüber hinaus über maßlose Vorstandsgehälter reden möchte, wird schnell mit dem Schlagwort Neiddebatte konfrontiert. Um Geld geht es der GDL nur an zweiter Stelle. Zentral ist für sie die Anerkennung eines Grundrechts, was die empörte Öffentlichkeit nur noch langweilt. Sie hat sich mehrheitlich schon damit abgefunden, dass Regierung und Bahnmanagement die Tarifeinheit durchsetzen wollen. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz, natürlich. Aber bis Karlsruhe darüber entscheidet, vergeht Zeit, die sich einplanen lässt. Absehbare Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden als Erbe an die Nachfolgeregierung weitergereicht.

Missbrauch der Regierungsgewalt

Missbrauch des Streikrechts? Es wäre an der Zeit über den Missbrauch der Regierungsgewalt zu diskutieren. Seit Jahren kassiert oder beanstandet Karlsruhe Gesetze, bei denen man schon vorher wusste, dass sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Konsequenz: Wenig Einsicht bei den Gestaltern, dafür viel Gejammer über eine dritte Gewalt, die angeblich mitregieren wolle. Was ist schon eine Verfassung im Vergleich zu einem mühsam ausgehandelten Koalitionsvertrag. Letzterer muss abgearbeitet werden.

Deshalb kriegt die CSU ihre verfassungswidrige Maut, die CDU ihre verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung und die SPD, ja die Spezialdemokraten bekommen ein verfassungswidriges Tarifeinheitsgesetz, weil das wohl dem DGB gefällt, mit dem man schon beim viel zu niedrigen Mindestlohn gut zusammenarbeitet hat, und der kleinere Gewerkschaften gern vom kuscheligen Markt der geheuchelten Koalitionsfreiheit verdrängen möchte. Schließlich heißt es “Einigkeit und Recht und Freiheit” und nicht “Zu den Waffen, Bürger, Formt eure Truppen”.

Schön wäre es ja, wenn die GDL ein Land lahmlegen könnte. Das passiert aber nicht. Denn die durch Bahnreformen mehr oder weniger kaputt geschrumpfte Bahn hat es geschafft, ihre Kunden weitgehend zu vergraulen. Der Bund als Eigentümer hat es sogar zugelassen, dass alternative Verkehrsmittel immer attraktiver werden, obwohl es eigentlich andersherum sein müsste. Lahmgelegt wird nur der Verstand, der nicht merkt, dass er sich einspannen lässt für Interessen, die niemals die seinigen sein können.


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Verantwortung übernehmen

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Die Forderung, Geheimdienste abzuschaffen, ist realitätsfern. Zwingende Pflicht ist aber, die Verantwortung zu übernehmen, wenn bekannt wird, was Geheimdienste tun. Und was sie tun, steht nun mal nicht im Einklang mit Recht und Gesetz.

Geheimdienste abschaffen: Das ist eine beliebte Forderung in diesen Tagen. Leider ist das überhaupt nicht denkbar. Leider ist es aber auch so, dass die Regierung, viele Parlamentarier, aber auch Journalisten immer noch glauben oder glauben machen wollen, Geheimdienste könnten im eng gesteckten Rahmen von Recht und Gesetz operieren. Das war schon immer eine grundfalsche wie irreführende Annahme.

Warum unterhalten Staaten wie die Bundesrepublik eigentlich Geheimdienste? Na weil sie nachvollziehbarer Weise an Informationen interessiert sind, die sie eben nicht auf legalem Wege – etwa durch höfliche Anfragen bei den demokratisch gewählten Regierungschefs anderer souveräner Staaten – erhalten können. Es ist schlichtweg naiv anzunehmen, Geheimdienste hielten Rechte ein.

Peinliche Wahrheiten

Diese Feststellung muss zwangsläufig zu der Einsicht führen, dass auch demokratisch verfasste Staaten für sich das Recht in Anspruch nehmen, Spionage zu betreiben, um mit den gewonnenen Informationen was auch immer anzustellen. Das ist das erste. Das zweite ist, dass Geheimdienste dann immer auch damit rechnen müssen, dass ihre Arbeitsweise auffliegt und zur öffentlichen Anklage gebracht wird. Denn das kennzeichnet einen funktionierenden Rechtsstaat. Dann holt er sich zurück, was beim Schnüffeln im Verborgenen verloren gegangen ist.

Das geschieht in diesem Moment. Dabei zeigt sich, wie viel Wert das Gerede von den Grundrechten oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist oder kurz gesagt: Was uns von Staaten unterscheidet, die ganz offen die Grundrechte ihrer Bürger missachten. Der Eiertanz der Bundesregierung und ihrer Sprecher zeigt nun aber: Die Wahrheit hinter der zur Schau getragenen Unwahrheit ist mindestens peinlich.

Da hilft auch kein Supergrundrecht auf Sicherheit. Die Musterschüler der Demokratie sind gar keine. Da wo Demokratie und Grundrechte hinderlich sind, werden sie einfach außer Kraft gesetzt und trotzdem so getan, als geschehe alles nur zum Schutze der eigenen Bevölkerung. Aber nicht einmal das stimmt. Das zeigt doch die bizarre Vereinbarung zwischen NSA und BND nach 9/11.

Statt die eigene Bevölkerung vor Terroranschlägen zu schützen, hat es jede Bundesregierung seit 2001 zugelassen, dass ein „befreundeter“ Geheimdienst nach eigenen Interessen die Infrastruktur des BND nutzen konnte. Mehr als Ermahnungen und Hinweise gab es von deutscher Seite nicht. Öffentlich stellte man sich sogar ahnungslos, um den „Freund“ zu schützen. So eine Art von Geheimdienst, der gar nicht für die Bundesregierung oder zum Schutz der eigenen Bevölkerung arbeitet, sondern für das „befreundete“ Ausland, braucht es wirklich nicht.

Fuck the Grundrechte

“Fuck the EU”: Wir machen was wir wollen. Den Rest erklärt ihr euren Bürgern bitte selbst. Es ist beschämend wie deutsche Parlamentarier angesichts des Ausmaßes der „befreundeten“ Spionage das enttarnte System auch noch zu verteidigen suchen oder einmal mehr nach Aufklärung schreien, obwohl sie genau wissen, dass es die nicht geben wird. Denn wie der Bundesinnenminister schon sagte: Was geheim ist, kann nicht öffentlich besprochen werden.

Seinen Job wird er damit sicher nicht retten können, aber es bleibt noch mehr zu klären: Wer ein System der Informationsbeschaffung betreibt, ob es den Bürgern nun gefällt oder nicht, darf sich nicht so bescheuert und unterwürfig anstellen, wie das nach 2001 geschehen ist. Wo ist eigentlich die Spionageabwehr, deren unzureichende Wirkung auch die Bundesregierung längst erkannt und eine entsprechende Neuausrichtung angekündigt hat?

Die Spionageabwehr versagt auf ganzer Linie, die Regierung versagt auf ganzer Linie und die Kontrolleure versagen auf ganzer Linie. Konsequenzen gibt es aber keine. Jedenfalls nicht spürbar. Doch eines muss klar sein. Die Verantwortung für das Versagen lässt sich nicht in abstrakt gehaltene Räume delegieren oder hinter den Vermerk „vertraulich“. Der demokratisch verfasste Rechtsstaat fordert die persönliche Übernahme von Verantwortung, sonst ist er kein Rechtsstaat mehr und damit auch keinen Deut besser als die vom Westen benannte Achse des Bösen.


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Ausgeblendet

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Verträge müssen eingehalten werden. Das ist das Mantra, das die Hardliner um Schäuble seit Wochen predigen und damit jede Art von Kompromiss unmöglich machen. Wo kämen wir auch hin, wenn diese Verträge missachtet würden? Die Antwort ist einfach. Zu einer Verbesserung der Lage in Griechenland.

Passende Neins

Bislang reden die Hardliner in der Eurogruppe und viele deutsche Politiker, die keine Ahnung von Ökonomie haben, es an Menschlichkeit vermissen lassen und neben der griechischen Regierung wie dilettantische Anfänger aussehen, von Verpflichtungen, die eingehalten werden müssen. Dass es auch eine Verpflichtung ist, die Grundrechte und ein Sozialstaatsmodell zu wahren, das materielle Sicherheit verspricht, blenden sie fahrlässig oder vorsätzlich aus.

Dabei heißt es in dem heiligen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union: “Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt,…”

Ist es nun ein sozialer Fortschritt, der mit dem Programm in Griechenland erzielt worden ist? Mit Sicherheit nicht, wenn die Menschen zunehmend ohne Krankenversicherung sind. Ist mit dem Programm eine nachhaltige Entwicklung in Gang gesetzt worden? Mit Sicherheit nicht, wenn laufend über Verlängerungen und weitere Kredithilfen verhandelt werden muss. Ist ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum und Preisstabilität erreicht worden? Ganz klar, nein. Griechenland hat über 20 Prozent seiner Wirtschaftskraft verloren und kämpft gegen die offene Deflation.

Mit halbstarker Leistung gedacht

Bleibt die Wettbewerbsfähigkeit, die in Verbindung mit sozialer Marktwirtschaft verwirklicht werden soll. In der Europäischen Union verteidigt nur ein Land seine Wettbewerbsfähigkeit erfolgreich. Und das ist Deutschland. Es will davon auch nichts abgeben, was aber zwingend notwendig wäre, wenn andere an Wettbewerbsfähigkeit hinzu gewinnen sollen. Aus logischen Gründen können nicht alle im gleichen Maße wettbewerbsfähig sein. Was der eine an Marktanteilen gewinnt, muss ein anderer verlieren. So ist das nun mal in der Marktwirtschaft, egal ob sozial oder nicht.

Der Verstoß gegen Verträge findet also bereits an grundsätzlicher Stelle statt und auch ganz konkret, wie Heiner Flassbeck und Albrecht Müller in einem Aufruf an Juristen belegen. Vereinbarungen über die Begrenzung makroökonomischer Ungleichgewichte, die ihre Ursache in dauerhaften Überschüssen auf der einen und Defizite auf der anderen Seite haben, werden gerade hierzulande einfach missachtet, der Verstoß sogar als Ausdruck von Stärke beklatscht. In Deutschland, wo offenbar auf vielen Ebenen nur mit halbstarker Leistung gedacht wird, fällt der Groschen einfach nicht.

Sie bleiben dabei. Griechenland muss sich zu etwas bekennen, das nach objektiver Betrachtung gescheitert ist. Dabei ist es ganz einfach, wie Stephan Schulmeister sagt: “Stellen Sie sich einen Arzt und seinen Patienten vor. Beide haben eine Vereinbarung über eine Langzeittherapie, der Patient bricht sie nach fünf Jahren ab – und zwar mit einem einfachen Argument: Die Therapie verschlimmert meine Krankheit immer mehr. Genau das steht jetzt im Zentrum der Verhandlungen mit Griechenland: Ist die bloße Therapie wichtiger oder die Gesundheit des Patienten.”


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Wer ist „Wir“ Herr Ischinger?

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Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat sich gestern in den Tagesthemen zu Wort gemeldet und einen erstaunlichen Plan verkündet, bei dem ich mich frage, was diesen Mann eigentlichen als gefragten Experten auszeichnet. Er sprach von einer langfristigen wirtschaftlichen Hilfe für die Ukraine, damit sich auch die militärische Lage stabilisiere. Aus verhandlungstaktischer Sicht sei es klug die Option möglicher Waffenlieferungen nicht vom Tisch zu wischen. Ischinger begründet das dann so:

„Wir alle wollen keine Waffenlieferungen des Westens, weil wir die Eskalationswirkung fürchten. Wir wollen doch eigentlich eine doppelte Nulllösung. Genau wie vor 30 Jahren, als es noch die Sowjetunion gab. Wir wollen, dass Russland aufhört, Waffen zu liefern , was es seit einem Jahr tut. Und im Gegenzug sind wir natürlich dann auch bereit, auf solche Maßnahmen unsererseits zu verzichten. Aber dazu hilft es vielleicht schon, wenn dieses Thema auf der Tagesordnung bleibt und den Gegner, sag ich jetzt mal, die Separatisten im Unklaren darüber lässt, ob es vielleicht zu solchen Lieferungen eines Tages kommen könnte. Das führt vielleicht dort auch zu einer gewissen Zurückhaltung.“

Ich fasse das mal zusammen: „Wir“ (wer ist das eigentlich) drohen mit Waffenlieferungen, die „wir“ (wer ist das eigentlich) natürlich nicht vornehmen werden, weil „wir“ (wer ist das eigentlich) eine Eskalation vermeiden wollen. Dann verkünden „wir“ (wer ist das eigentlich) diesen Plan im Ersten Deutschen Fernsehen und hoffen, dass der „Gegner“ (wer ist das eigentlich) nichts mitbekommt. Ich muss schon sagen, das „wir“ (wer ist das eigentlich) ziemlich blöde sein muss, wenn es glaubt, das wäre eine vernünftige Strategie.

Im übrigen hält der EU Botschafter der Ukraine in Brüssel, Konstantin Jelissejew, eine EU-Militäroperation im Donbass, wie sie Präsident Poroschenko gestern forderte, für eine „innovative Idee“. Da fällt mir jetzt nichts mehr ein, aber vielleicht dem „wir“ (wer ist das eigentlich).

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Griechenland möchte Moscovici-Plan

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Es ist kaum zu glauben. Da melden die deutschen Medien heute, Griechenland habe sich quasi ergeben, weil es nun doch einen Antrag auf Verlängerung des Hilfsprogramms stellen will. Ich bin wirklich entsetzt über diese Fehlleistung der Kollegen, die nicht einmal erklären können oder wollen, wie es zu dem Sinneswandel kam. Einige meinen wohl, das Ultimatum hätte gewirkt. Die Griechen sehen keinen Ausweg mehr. Das ist natürlich alles Quatsch.

Das Ultimatum hat die griechische Seite nicht im Geringsten geschockt. Enttäuscht war man über den Rückzieher der Eurogruppen-Finanzminister, die auf Druck Berlins ein bereits vorliegendes Kompromisspapier des EU-Währungskommissars Pierre Moscovici wieder einkassiert hatten. Diesen Vorgang macht die griechische Regierung nun öffentlich, wie Eric Bonse erfahren hat. Die Zustimmung Athens wird sich dann auch auf dieses Papier beziehen und nicht auf den “Weiter-So-Blödsinn”, den Schäuble und Dijsselbloem erneut vorlegten.

Von einem Kurswechsel, wie viele Medien nun schnappatmend meinen, kann also keine Rede sein. Eher von der Wiederbelebung eines guten Vorschlags, über den Schäuble im Rahmen der Finanzministerkonferenz nicht einmal diskutieren wollte.

Lustig sind nun die Reaktionen. Sigmar Gabriel begrüßte mit einem Bierglas in der Hand das vermeintliche Einlenken Athens. Das sei eine gute Entscheidung, “weil jetzt offensichtlich die griechische Regierung erkennt, dass es nicht um die Interessen ihrer Partei geht, sondern um die Interessen Griechenlands und der Bürgerinnen und Bürger”, sagte Gabriel am Rande des politischen Aschermittwochs der SPD im niederbayerischen Vilshofen. In Bayern ticken die Uhren halt anders.

Was Griechenland will, kann man unterdessen bei der britischen Financial Times nachlesen.


EDIT: Die FAZ schreibt: Schuldenkrise – Griechenland veröffentlicht Verhandlungsdokumente

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/griechenland-veroeffentlicht-rede-von-varoufakis-13435497.html


Ergänzung: Äußerst beschämend ist die weitere Medienleistung. Inzwischen wird gemeldet, dass es ein Papier der EU-Kommission am Montag gegeben hat, dem Griechenland auch zugestimmt hätte. Allerdings sei die EU-Kommission nicht berechtigt, Papiere in der Eurogruppe vorzulegen. Diese Darstellung stützt natürlich die harte Schäuble-Position, kommt wahrscheinlich auch von dort.

Die Wahrheit ist aber wie immer mehr als die Summe einzelner Teile. Demnach ist das Treffen der EU-Finanzminister am Montag ja vorbereitet worden und nicht vom Himmel gefallen. Es gibt immer Vorbereitungen, gerade die gipfelerfahrenen Medien sollten das inzwischen mal gemerkt haben. Vor einer Woche sei vor der Sitzung des Europäischen Rates ein Entwurf formuliert worden, der auch von EZB-Chef Draghi und Christine Lagarde vom IWF begrüßt wurde.

In einer Rede stellt der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras den Verlauf der Verhandlungen wie folgt dar:

„In einem harten Verhandlungsprozess, in dem wir es abgelehnt haben, den psychologischen Erpressungsversuchen der Gläubiger nachzugeben, sind wir mit Jeroen Dijsselbloem am vergangenen Donnerstag, fünfzehn Minuten vor Beginn der Sitzung des Europäischen Rates, zu einer gemeinsamen Erklärung gelangt.

Es handelt sich um die Erklärung, die auch der Europäische Rat angenommen hat und durch welche die Eurozone erstmals Abstand davon genommen hat, das Memorandum zur Bedingung des neuen Verhältnisses zwischen Griechenland und seinen Gläubigern zu machen.

Quelle: NachDenkSeiten

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Realitäten anerkennen

Geschrieben von:

Wenn über Griechenland gesprochen wird, ist immer von einem Programm die Rede. Die Griechen sagen, es sei gescheitert. Die Eurogruppe sagt, es sei eine Bedingung. Damit geht es nicht wie vielfach behauptet um verhärtete Fronten, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, sondern darum, dass hier jemand die Realität nicht akzeptieren will.

Dass Schäuble und seine aalglatte Sprechpuppe Dijsselbloem die gesellschaftliche Wirklichkeit ausblenden, ist sonnenklar. Sie berufen sich auf eine Vertragsrealität und argumentieren juristisch nicht ökonomisch, wie Thomas Fricke schreibt. Während Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis neben ökonomisch vernünftigen Argumenten auch auf die humanitäre Lage in seinem Land verweist, die es zu beenden gilt, erntet er in diesem Punkt nur kühle Ignoranz. Es scheint fast so, als wollte Schäuble sagen, dass das Leid der Menschen in Griechenland nicht Gegenstand der Verhandlungen in Brüssel sein könne.

Teutonische Selbstüberschätzung

Ihm tun die Griechen trotzdem leid, aber nicht, weil sie leiden, sondern weil sich ihre Regierung (dem deutschen Finanzminister gegenüber) unverantwortlich verhalte. An der verwüsteten griechischen Gesellschaft ist Schäuble nicht sonderlich interessiert. Er hält die Demütigung, die das Eingeständnis, bei der Eurorettung völlig versagt zu haben, mit sich brächte, für weitaus schlimmer. Wie stünde Europa auch da, in dem seit Ausbruch der Krise endlich wieder Deutsch gesprochen werde.

Haushaltsdisziplin, schwarze Null und eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang: Das sind die Eckpfeiler, auf denen ein neuer teutonischer Größenwahn beruht und manchen hierzulande glauben lässt, Deutschland sei ein Musterschüler mit Vorbildfunktion. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis glaubt nicht daran, denn er weiß es aufgrund seiner Ausbildung einfach besser. Er bezeichnet das alte Kürzungsprogramm, an dem Juristen wie Schäuble festhalten wollen als Ursache des Problems und nicht als Lösung.

Da spricht ein Fachmann, der volkswirtschaftliche Zusammenhänge versteht und daraus seine Schlüsse zieht. Schäuble ist auch Fachmann, aber nicht auf dem Gebiet der Ökonomie. Er ist vielmehr ein Vollstrecker, der einer vorgegebenen politischen Agenda folgt. Davon lässt er sich weder durch Vernunft noch durch sein offenkundiges Scheitern abbringen. Neben Varoufakis wirkt Schäuble aber nicht sonderlich kompetent. Das führt zu kindischen Reaktionen (Ultimatum) oder zu Frechheiten wie der Bemerkung Varoufakis hätte noch Luft nach oben.

Die griechische Regierung ist gespickt mit Wissenschaftlern, die an renommierten Hochschulen der Welt studiert und gelehrt haben. Sie werden trotzdem als Radikale oder Spinner bezeichnet, weil sie einen seit Jahren eingeübten Glauben bedrohen. Die Bundesregierungen bestehen in der Regel aus gelernten Berufspolitikern mit Sprechblasenzusatzausbildung, die ihre akademischen Grade zum Teil erschlichen haben. Die beruflichen wie wissenschaftlichen Abschlüsse werden von diesen Damen und Herren lediglich zur Dekoration getragen. Etwas mit der Praxis zu tun haben, wollen sie lieber nicht, es aber auf jeden Fall immer besser wissen.

Die Zeit läuft für beide Seiten ab

Im Schuldenstreit heißt es, dass vor allem Griechenland die Zeit davon laufe. Dass muss dann aber auch für die Gläubiger gelten, die im gleichen Boot sitzen und im Falle einer Zahlungsunfähigkeit auf Forderungen in Milliardenhöhe verzichten müssen. Schäuble warnt deshalb: Wenn das aktuelle Hilfsprogramm nicht ordnungsgemäß beendet werde, „wird eine schwierige Situation entstehen“. Nur für wen?

Für die Finanzmärkte wohl eher nicht. Denn da hat eine Pleite der Griechen ihren Schrecken offenbar verloren. Dort sitzen auch kaum noch Gläubiger, die um den Wert ihrer griechischen Staatsanleihen bangen müssten. Diese haben sie nämlich, Schäuble sei Dank, zu einem guten Kurs beim ersten Schuldenschnitt an die öffentliche Hand weiterreichen dürfen. Überhaupt hat sich die Dauer der Eurorettungsaktion für den Finanzsektor gelohnt. 77 Prozent der Hilfen gingen direkt dorthin.

Der Spiegel schreibt: “Von den bis Mitte 2013 nach Griechenland geflossenen knapp 207 Milliarden Euro sind gut 77 Prozent direkt (58,2 Milliarden für Bankenrekapitalisierung) oder indirekt (101,3 Milliarden für Gläubiger des griechischen Staates) an den Finanzsektor geflossen. Für den Staatshaushalt blieben aus den Rettungsprogrammen weniger als ein Viertel.” Griechenland war also nur eine Zwischenstation, um die eigentliche Bankenrettung, um die es in Wahrheit immer ging, zu verschleiern.

Auch diese Realität gilt es endlich anzuerkennen.


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Nichtwähler sind stärkste Kraft in Hamburg

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Die Wahl in Hamburg bestätigt Trends. Ein Trend zur politischen Profillosigkeit und einen ungebrochenen Trend zur Wahlenthaltung. Statt über Erfolge sollte die Politik über ihr Scheitern diskutieren.

Die Wahl in Hamburg ist vorbei und es gibt wieder nur Gewinner. Allen voran die FDP, von der 99 Prozent ihrer Wähler meinen, sie stünde klar für Marktwirtschaft. Tut sie aber nicht. Bei den Liberalen stand nur Spitzenkandidatin Katja Suding im Rampenlicht, nicht die Marktwirtschaft. Sie ist eine PR-Fachfrau, die weiß, wie man ein Image formt. Nicht umsonst lag Suding in der Zufriedenheitsabfrage, die nicht mehr als die Präsenz in der Öffentlichkeit misst, auf Platz zwei hinter Olaf Scholz. Es ist weniger die Marktwirtschaft als eine toll bebilderte Boulevard Kampagne gewesen, die der FDP in Hamburg wieder auf die „Beine“ half.

Heikle Trends

Auf der anderen Seite soll auch Olaf Scholz gewonnen haben, einer, der landauf landab als Ableger eines neuen Politiker Typus beschrieben wird, den offenbar Angela Merkel schuf. Heribert Prantl schreibt von einem Triumph des Fleißigen, der durch auffällige Unauffälligkeit besticht. Ein Trend in der Politik, wie Prantl meint. Aber auch er übersieht das Wesentliche. Dem Triumph steht eine abermals gesunkene Wahlbeteiligung gegenüber. Nur noch 56,6 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre „Stimmen“ ab. Erstmals durften auch Jugendliche ab 16 an die Urne. Rund 1,3 Millionen Hamburger waren zur Wahl aufgerufen und damit rund 40.500 Wahlberechtigte mehr als 2011. Vor diesem Hintergrund wirkt der Rückgang der Wahlbeteiligung noch einmal dramatischer.

Die Nürnberger Nachrichten kommentieren treffend: „Die SPD in Hamburg bleibt stark, sehr stark – aber sie ist nicht die stärkste Kraft in der Hansestadt: Das sind jene Bürger, die von ihrem Wahlrecht gar nicht Gebrauch gemacht haben. Immer mehr Menschen zweifeln an ihrem Einfluss auf die Politik, glauben, sie könnten ohnehin nichts erreichen. Oft sind das weniger gut Gebildete, sozial Schwache, Arbeitslose in Problemvierteln, die es auch in Hamburg gibt. Das Wahlrecht dort macht es gerade ihnen schwer. Es ist kompliziert und demokratisch durchaus reiz-, aber eben auch anspruchsvoll. Deshalb geben zusehends die mittleren und oberen Schichten ihre Stimme ab, die unteren ziehen sich zurück – und sind deshalb tatsächlich schlechter repräsentiert als andere. Ein heikler Trend.“

Ungeachtet dieses Trends zur Wahlenthaltung wird Olaf Scholz schon als künftiger Kanzlerkandidat ins Gespräch gebracht, obwohl er mit dafür verantwortlich ist, dass die SPD im Bund keine Volkspartei mehr ist. Scholz war ja nicht immer Erster Bürgermeister Hamburgs, sondern davor gescheiterter Bundesminister für Arbeit und Soziales. In dieser Funktion prägte er den Satz: „Alles, was an Effekten durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entsteht, wird jedes Mal zusammen mit der Arbeitsmarktstatistik veröffentlicht. … Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann. Wer anders rechnen wolle, könne ja seine Zahl veröffentlichen – und dazu ein Flugblatt drucken.“

Scholz steht für den Niedergang der SPD

Der Niedergang der SPD ist untrennbar auch mit dem Namen Olaf Scholz verknüpft. Er gehört zu den Agenda-Befürwortern und war gewissermaßen einer der Totengräber der alten Sozialdemokratie, wie das Neue Deutschland heute richtig analysiert. Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu grotesk, Scholz als neuen Heilsbringer der Sozialdemokratie auch nur in Erwägung zu ziehen.

Zur Diskussion um den Ausgang der Hamburg-Wahl gehört natürlich auch die Spekulation um mögliche Koalitionen. Da spielt dann plötzlich ein Bündnis mit der FDP wieder eine Rolle. Auch das passt irgendwie zur Zeit, deren Beobachter einen sozialliberalen Kurs von Scholz erkannt haben wollen. Es ist immer wieder erstaunlich wie schnell nach einem Wahlerfolg Erklärungen verkündet werden. Scholz habe gewonnen, weil er für Verlässlichkeit stünde und Versprechungen eingehalten habe.

Die Verlierer müssen hingegen das Wahlergebnis immer erst genau analysieren, bevor sie einen Grund für ihr Scheitern nennen können, was freilich nie geschieht. Doch diese genaue Analyse täte auch den vermeintlichen Gewinnern einmal gut, die schon wieder über Inhalte diskutieren und darüber, was gut für die Hamburger sei, die zu einem großen Teil kein Interesse an der Wahl zeigten. Eine Gemeinsamkeit hat die SPD mit der FDP auf jeden Fall. Zwei Männer an der Spitze. Olaf Scholz und Katja Suding.


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